Inspiriert durch ihren Debütroman „Meeresrand” war ich gespannt auf ein weiteres Werk der Theatermacherin und Schriftstellerin Veronique Olmi. So gelangte ihr zweiter Roman „Nummer sechs” zu mir.
Die Geschichte dreht sich um Fanny. Sie wird als Kind Nummer sechs geboren. Der Altersunterschied zu dem bis dato jüngsten Kind zählt zehn Jahre. Den Status des Nachkömmlings wird sie nie wieder los und so bleibt sie die Außenseiterin. Nach des Vaters Meinung, sollten Kinder am Fließband entstehen. Doch Fanny viel aus seiner vorgegebenen Norm.
Man dachte, ich würde ein mongoloides Kind, aus einem ermüdeten Eierstock gezeugt, mit wenig tauglichen Chromosomen. Abtreibung kam nicht in Frage. Wir sind praktizierende Katoliken. Ich mache mir keine Illusionen: Eine Fehlgeburt muß erwünscht gewesen sein.
Ich habe mich festgeklammert.
Ihre älteren Geschwister zeigen kaum Interesse an Fanny. Ihr Leben lang kämpft sie um die Anerkennung ihres Vaters. Diesem wiederum gelingt es nicht einmal, sich ihren Namen zu merken, sondern er nennt sie irrtümlich Louise oder Martha, nach ihren älteren Schwestern, oder gar nur „Nummer sechs”.
Die meiste Zeit verbringt Fanny mit dem spanischen Hausmädchen. Selbst im Urlaub interessiert sich ihre Familie nicht für sie. Sie fühlt sich überflüssig. Fanny, ein vernachlässigtes Kind in einer Großfamilie.
Der Vater, ein angesehener Arzt, geplagt von Migräneanfällen und Albträumen betreffend seiner Kriegserfahrungen, bleibt für Fanny unerreicht. Trotz aller Bemühungen ihrerseits wird sie von ihrem Vater kaum beachtet. Selbst als sie sehr schwer erkrankt, lehnte er ihre Behandlung mit den Worten : „Ein Arzt behandelt seine eigene Familie nicht”ab.
Doch nun ist Fanny fünfzig und ihr Vater einhundert Jahre alt. Der Vater, alt und bedürftig, landet in der Obhut seiner jüngsten Tochter, da alle anderen Kinder nicht bereit sind, für ihren Vater Sorge zu tragen. Nun ist der bewunderte Vater nicht mehr diese autoritäre Person und somit erhofft sich Fanny endlich zumindest etwas Aufmerksamkeit. Denn es hat sich eine Achse verschoben und der angehimmelte Vater aus Kindheitstagen ist selbst zum Überflüssigen geworden.
Fanny selbst, blieb beruflich unter ihren Möglichkeiten und schenkte einer Tochter das Leben. Diese Tochter lernte ihren Vater nie kennen. Fannys Lebensmodell bleibt die Kontaktarmut zu ihrem Umfeld, denn aus dem Schatten ihrer Kindheit kann sie sich nicht befreien.
Veronique Olmi besticht durch ihre besondere Sprachform des Weglassens. Dies eröffnet Räume für das eigene Nachspüren. Sie schreibt ohne Wertung und ohne Anklage. Das bleibt wohl für die Leserschaft reserviert. Eine Vater-Tochter-Beziehung, die eine unfassbare Unvereinbarkeit spiegelt, welche mich tief berührt zurücklässt. Große Leseempfehlung!
Das Cover zeigt ein altes Farbfoto. Aufgenommen in einer Landschaft. Ein kleines Mädchen in einem rotem Kleid mit weißem Kragen. Sie trägt langes, dunkelblondes Haar. Der Name der Autorin und der Verlagsname sind in hellem und der Titel in einem dunklen Braun gehalten.
- Nummer sechs
- Veronique Olmi
- Roman
- Kunstmann Verlag
- ISBN: 3888983384
- 98 Seiten
- Auf Deutsch erschienen 2003
- Übersetzt von Sigrid Vagt
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