Obwohl Veronique Olmi schon eine Vielzahl an Büchern veröffentlicht hat, habe ich sie erst kürzlich entdeckt. Ich wählte ihr Debüt „Meeresrand”. Ein zartes Büchlein von gerade mal 90 Seiten. Doch diese wenigen Seiten trafen mich mit voller Wucht. Ein Drama, eine Mischung aus fesselnder Spannung bis hin zur Unerträglichkeit. Aufwühlend und beeindruckend.
Eines Nachts bricht eine Mutter mit ihren zwei Söhnen, Stan (9 Jahre) und Kevin (5 Jahre), zu einer Reise ans Meer auf. Sie waren noch nie am Meer und die Kinder sollen wenigstens einmal das Meer sehen. Die drei kommen an einem trostlosen Küstenort an und bewohnen ein Zimmer in einem verwahrlosten Hotel. Die Mutter erzählt die Geschichte. Sie wird von Depressionen, Paranoia und Panikattacken geplagt. Ihr Plan für diesen Aufenthalt: Ihre Kinder sollen es gut haben. Sie wird ihnen das Meer zeigen und am Abend zusammen einen Kirmes besuchen, bis das ohnehin knappe Geld aufgebraucht ist.
Stan war schon der Ältere, noch bevor Kevin auf die Welt kam. Man hätte meinen können, er wartete nur darauf, dass der Kleine endlich geboren wurde, damit er seine Stelle als großer Bruder einnehmen konnte. Diese Rolle passte zu ihm.
Die Mutter beobachtet die Geschehnisse um sie herum genau und sie betrachtet vieles neu und unerfahren, da sie zu Hause am liebsten im Bett lag.
…ich hatte nie bemerkt, dass keiner von ihnen etwas Passendes in seiner Größe hatte, ich bin ja wirklich nie dabei, wenn sie sich morgens für die Schule fertigmachen, und jetzt sah ich aufeinmal, dass sie nicht waren wie die anderen…
Hin und hergerissen ist diese Mutter, zwischen ihrer gedrückten Stimmung, ihrem Grübeln und kleinen Hoffnungsschimmern.
Die Jungs nahmen mich jeder an einer Hand, und fast im selben Augenblick gingen die Straßenlaternen an, wir waren Könige.
Veronique Olmi entblättert ein Drama, das mit seiner Kontingenz besticht. Von Anbeginn der Geschichte, schaukelt sich etwas Unheilvolles durch die Seiten. Wie eine Welle, die immer mehr an Dynamik und Volumen gewinnt und zu einer Riesenwelle ansteigt. Was ebenfalls ungemein gut gelungen ist, ist wie liebevoll sie ihre Söhne beschreibt. Fast als wäre es zum ersten Mal. Auch dieser Spagat zwischen ihrer Depression und ihren kleinen Erfolgen gelingt faszinierend in ihrer Betrachtung.
„Meeresrand” ist ein komprimiertes Drama um ein verzweifeltes Herz. Große Leseempfehlung!
Das Cover zeigt Meereswasser und Ufer in einer Bucht. Alles in verschiedenen Blautönen gehalten.
- Meeresrand
- Veronique Olmi
- Roman
- Büchergilde Gutenberg
- Die kleine Reihe
- ISBN: 376325353x
- 90 Seiten
- Auf Deutsch erschienen 2003
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