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Letzte zärtliche Augenblicke ~ Kjersti Anfinnsen

Wie geht es einer 90-jährigen Frau, die sich in ihrem Leben von einigen Familienmitgliedern, vielen Freunden und so mancher Liebe für immer verabschieden musste? Wie hält sie es aus, so allein zu sein? Und woher nimmt sie die Contenance, trotz ihrer körperlichen Defizite, die merklich zunehmen, nicht gänzlich zu verzweifeln? 

Birgitte Solheim, blickt ganz unsentimental auf ihr langes Leben zurück. Aufgewachsen in einer dysfunktionalen Familie, kam für sie eine Familienplanung nie in den Sinn. Brigitte wurde eine erfolgreiche Herzchirurgin, die sich durchzusetzen wusste in dieser Männerdomäne. Gut 35 Jahre wohnte und arbeitete sie in einem Krankenhaus und hielt Vorträge auf Kongressen auf der ganzen Welt. 

„Früher konnte ich mit meinen Händen Leben retten………..Jetzt kann ich mir noch nicht einmal mehr eine Tasse Kaffee eingießen, ohne zu plempern. Mein Friseur meint, meine Wohnung sei voller Flecken und Krümmel.” 

Ab und an telefoniert Brigitte mit ihrer Schwester. So richtig warm wurden die beiden ihr Leben lang nicht. Zumal beide eine völlig konträre Meinung über ihre Kindheit und ganz besonders über ihre Mutter verinnerlicht haben. 

So sitzt Brigitte gern an ihrem Fenster in ihrer Pariser Wohnung und blickt hinaus ins Leben. An dem sie nicht mehr teilnimmt. Mit einem leichten schmunzeln denkt sie über ihre Männer und ihre Affären nach, die ihren Lebensweg kreuzten. 

„Seit ein paar Tagen komme ich nicht aus dem Bett. Niemand hat bei mir vorbeigeschaut. Keine Ahnung, was in der Welt gerade vor sich geht – welche Wälder brennen, welche Inseln im Meer versunken sind, welche Gebirge auseinanderbrechen. Die meiste Zeit schlief ich oder döste unter meiner Bettdecke vor mich hin. An einem Punkt dachte ich, ich würde ent-schlafen, und deshalb zog ich meine Perücke aus der Nachttischschublade und setzte sie mir auf. Um eine letzte Demütigung zu vermeiden.”

Plötzlich tritt Javier in Brigittes Leben. Die beide hatten sich übers Internet kennengelernt. Sie ziehen zusammen. Ein letztes spätes Glück. Doch nicht von langer Dauer. 

Mit jedem dieser meist kurzen Kapitel ist mir Brigitte immer mehr ans Herz gewachsen. Ihre Reflexionen im Roman berühren durch ihre nuanciert melancholische, versöhnliche, liebevolle und amüsante Lebensweisheit. Der Roman überzeugt zudem durch seine unverblümte Direktheit. Ein herzliches Dankeschön an Kjersti Anfinnsen, die sich dieser Thematik angenommen hat: den Menschen am Rande unserer Gesellschaft, die kaum noch wahrgenommen werden und vereinsamen. Sie werden unsichtbar. Doch „Letzte zärtliche Augenblicke” gibt diesen lang gelebten Leben die Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt. Mehr davon! Große Leseempfehlung! 

Das Cover zeigt ein Gemälde. Es ist ganz in Blau mit einem angedeuteten Eiffelturm im Hintergrund und einer Figur mit Regenschirm in Rot.

  • Letzte zärtliche Augenblicke
  • Kjersti Anfinnsen
  • Roman
  • Septime Verlag
  • ISBN: 9783991200567
  • 180 Seiten
  • Erschienen 2025
  • Übersetzt von Sabine Richter

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