Es gibt Schriftsteller, die kommen mit ihren Texten nie aus der Zeit. Unter diesen gehört einer der bedeutendsten deutschen Satiriker und Gesellschaftskritiker des 20. Jahrhunderts, Kurt Tucholsky (1890-1935). Der österreichische Schauspieler, Musiker und Autor Robert Stadlober hat eine bereichernde Textauswahl herausgegeben und mit einem Vor – und Nachwort versehen.
Kurt Tucholsky veröffentlichte unter anderem mit den Pseudonymen Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel. Er gehörte zu den bedeutendsten und meistgelesenen Schriftstellern der Weimarer Republik. Kurt Tucholsky war Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter, Romanautor, Lyriker und Kritiker. Er war ein linker Demokrat, Pazifist und Antimilitarist. Er warnte in seinen Texten vor dem Erstarken der Nationalsozialisten.
Hier ein paar Text-Splitter aus dem Buch:
Zweifel
Ich sitz auf einem falschen Schiff.
Von allem, was wir tun und treiben,
und was wir in den Blättern schreiben,
stimmt etwas nicht: Wort und Begriff.
Der Boden schwankt. Wozu? Wofür?
Kunst. Nicht Kunst. Lauf durch viele Zimmer.
Nie ist das Ende da. Und immer
stößt du an eine neue Tür.
Es gibt ja keine Wiederkehr.
Ich mag mich sträuben und mich bäumen,
es klingt in allen meinen Träumen:
Nicht mehr.
Wie gut hat es die neue Schicht.
Sie glauben. Glauben unter Schmerzen.
Es klingt aus allen tapfern Herzen:
Noch nicht.
Ist es schon aus? Ich warte stumm.
Wer sind Die, die da unten singen?
Aus seiner Zeit kann Keiner springen.
Und wie beneid ich Die, die gar nicht ringen
Die habens gut.
Die sind schön dumm.
Auf nichts ist der Mensch so stolz wie auf das, was er selbst gelernt hat – und wenn es auch blanker Unsinn war, er hats doch einmal begriffen, und da ist dann nichts mehr zu machen.
Der soziologische Horizont der meisten Menschen ist klein wie der Boden einer Konservenbüchse. Sie wähnen sich im Himmel. Eine neue Gesellschaftsliteratur sollte sie aus diesen schönen Träumereien reißen und ihnen die Erde zeigen, wie sie ist. Bunt, eintönig, abwechslungsreich, bis zur tödlichsten Langeweile individuell, von uralter Frische.
Kurt Tucholsky verstarb 1935 durch Suizid. Er pflegte in seinen Texten den Blick auf den Menschen, die Natur, über Gewalt und Politik, den Hass und die Hoffnungslosigkeit. Seine Werke haben an Aktualität über die Jahre nichts eingebüßt. Ganz im Gegenteil, sie bleiben auf der Höhe der Zeit. Große Leseempfehlung!
- Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut
- Kurt Tucholsky
- Herausgegeben von Robert Stadlober
- Verbrecher Verlag
- ISBN: 9783957325952
- 151 Seiten
- Erschienen 2024
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