Simone Scharbert führt uns mit “Rosa in Grau” in psychiatrische Anstalten der Nachkriegszeit. An Orte, wo Menschen ohne Privatsphäre unter katastrophalen Bedingungen leben. Erzählt wird aus der Perspektive einer jungen Mutter, die Anfang der 50er-Jahre in Haar-Eglfing eingeliefert wird. Wie so viele Frauen, die sich nicht in die Gesellschaft ihrer Zeit einfinden können. Frauen, die gezwungen sind, ihr eigenes Leben aufzugeben und stattdessen Jahrzehnte in der Psychiatrie verbringen – mehr verwahrt als behandelt. Menschen, die etwas aus sich selbst heraus schaffen müssen, um das Leben weiter zu ertragen. – So der Klappentext
>70 Frauen in einem Saal. Der Nachttopf für den Notfall. Mitten im Raum. Sich daran zu gewöhnen ist schwer, Tag für Tag ein neuer Schlag.< – Seite 44
Die namenlose junge Frau wird mit der Diagnose Schizophrenie in eine Anstalt eingeliefert. Ihre ständige Begleiterin ist Rosa, ihre Tochter. Ob sie nur ein Kind hat oder ob es Rosa wirklich in ihrer Nähe gibt, kann sie nicht beantworten. Sie ist sich nicht sicher. Der Mitpatient Eugen malt ihr ein Bild, das sie selbst darstellen soll, Aufgrund dieses Geschenkes, gibt sie sich den Namen >Frau Inland <.
>Meine Erinnerung ist ein schwarzes Geschöpf. Sie wohnt in mir. Sie ist still, erzählt nichts mehr. Seit Längerem schon. Schweigt. Kein einziges Wort. Ich habe mich daran gewöhnt. An diese Schwärze. In mir. Und das andere Menschen mehr über mich wissen als ich selbst.
Dass sie mich haben fixieren müssen. Erzählt sie weiter, schon wieder. Ihre Worte sind fest. Aus Sicherheit. Zu meiner eigenen Sicherheit. Den Gurt erst nur über den Bauch gelegt hätten. Dass sie mir ein Beruhigungsmittel gespritzt hätten. Die Nadel schwer in den Arm zu bekommen war. Daher die Stichmuster auf meinem Unterarm. Mein Arm eine Stickkarte. < – Seite 89
Simone Schabert macht eine Grauzone sichtbar. Die Anstalt in Haar-Eglfing diente in der Zeit des Naziregimes als Hungerhaus. Dort wurden Menschen eingespeert die ihrer Ideologie nicht entsprachen und sie liesen sie verhungern. In den 1950er Jahren nützte sie zum Zwecke der Psychiatrie. Die Heilungsmethoden menschenunwürdig, geprägt mit Gewalt in den unterschiedlichsten Ausführungen.
Der Stil der Autorin hat mich zu Beginn etwas gefordert, da er aus der Sicht von >Frau Inland < erzählt wird. Doch genau dies schafft Raum für Emotionen. Homogen sind Realität und Fiktion miteinender verwoben. Simone Schabert zeigt sich in >Rosa in Grau< als wahre Wortkünstlerin und präsentiert hier eine besondere Art der Erzählfähigkeit. Ja und den Eugen hat es wirklich gegeben, Eugène Gabritschevsky, Künstler und Biologe, der als schizophren galt und 1979 in der geschlossenen Psychiatrie verstarb.
Danke, Simone Schabert, für dieses wichtige Denkmal.
- Rosa in Grau
- Simone Schabert
- Eine Heimsuchung
- edition AZUR
- ISBN: 9783942375566
- 184 Seiten
- Erschienen 2022
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