
Ich war sehr neugierig auf den neuen Roman des Booker-Preisträgers von 2023, da Paul Lynch mich mit seinem dystopischen Werk „Das Lied des Propheten“ absolut begeistert hatte.
An der mexikanischen Küste spielt die Geschichte, in der der alte Hase unter den Fischern Bolivar und der junge Hector mit einem Fischerboot aufs Meer hinausfahren. Trotz der Sturmwarnung möchten sie noch einen letzten Fang machen. Jedoch überrascht sie ein heftiger Sturm und reißt sie aufs offene Meer. Das Boot verliert seine Manövrierfähigkeit, und die beiden Männer sind den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert. Der Roman legt den Fokus auf die psychologischen Folgen des Überlebenskampfes für Bolivar und Hector. Sie müssen sich der drohenden Gefahren, Einsamkeit und mögliche Todesgefahr, stellen. Lynch schildert eindringlich die sich wandelnden Stimmungen, die wachsende Verzweiflung, aber auch Augenblicke der Hoffnung und des Zusammenhalts zwischen den beiden Männern. Als sie so dahin treiben, werden sie mit dem unermesslichen Meer und der Stärke der Natur konfrontiert. Die Trennlinien zwischen Realität und Einbildung werden vage, und die Frage, was tatsächlich passiert und was nur aus ihrer Vorstellung hervorgeht, wird im Verlauf der Geschichte immer wieder gestellt.
„Jenseits der See“ erzählt nicht nur von einem Überleben auf dem Wasser, sondern bietet ein Psychodrama, das für mich an manchen Stellen nur schwer auszuhalten war. Lynch führt dramaturgisch so atmosphärisch durch seine Geschichte, dass es einen innerlichen Film hervorrief. Ein Kammerspiel vom Feinsten.
„Die brennende Sonne funkelt auf dem Ozean. Dann hört die Strömung auf. Bolivar horcht sorgfältig auf das Wasser. Wie der Ozean sich zu vergessen scheint, nun beinahe ohne Atem spricht. Die Hitze im Mund und wie sie den Atem zum stocken bringt, wie die Brust sich hebt und senkt im Reflex, ohne Luft zu atmen.”
Ausgesprochene Leseempfehlung für diesen Roman, der auf eine wahre Begebenheit fusst. Salvador Alvarenga und der 20-jährige Ezequiel Córdoba fuhren am 17. November 2012 vom mexikanischen Fischerdorf Costa Azul aus in den Pazifischen Ozean. Sie wurden ebenfalls von heftigem Unwetter erfasst. Ihr Boot trieb 438 Tage auf dem Ozean und legte eine Distanz von 10.000 Kilometern zurück. Die totgeglaubten Seemänner lebten, wie im Buch beschrieben, von rohem Fisch, Vogelblut und Quallen. Nur Salvador Alvara sollte nach mehr als 14 Monaten auf den Marshallinseln landen. Sein Begleiter soll verhungert sein – und der so wundersam Gerettete wurde lange Zeit verdächtigt, Ezequiel Córdoba einfach aufgegessen zu haben.
Das Cover: Eine grafische Darstellung, obere Hälfte in Weiß, untere Hälfte in blau mit einem kleinen schwarzen Boot und zwei Personen. Die Schriften sind in Weiß und Schwarz gehalten.
- Jenseits der See
- Paul Lynch
- Roman
- Klett-Cotta Verlag
- ISBN: 9783608966886
- 183 Seiten
- Übersetzt von Eike Schönfeld
- Erschienen 2025
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