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Im Meer waren wir nie ~ Meral Kureyshi

Lili zieht in ein Seniorenheim, um ihrem pflegebedürftigen Mann Emil beiszustehen. Für ihre Familie stellt dies einen gravierenden Moment dar; die Rollenverteilung erfährt eine Neuausrichtung, und der Abschiedsschmerz verbindet sich mit der Hoffnung auf Unterstützung für Lili in ihrem Alter und auf ein Leben in Würde. Ihre von Klagen und Resignation geprägte Persönlichkeit repräsentiert die Generation, die das Altern oft als Zumutung empfindet, aber dennoch im Alltag Tapferkeit beweist.

„Die Alten gehen vergessen, sagt sie, doch wir vergessen nicht, das ist das Traurige. Nach einem langen Leben mit vier Kindern, acht Großkindern und zwei Urgroßkindern bin ich hier allein im Altersheim, diese verdammte Einsamkeit macht einen verrückt, sagt sie.”

Die Ich-Erzählerin, die tatsächliche Protagonistin, trägt die Verantwortung dafür, Lili regelmäßig aufzusuchen und ihr im Alltag zu helfen. Sie zeigt zwar nach außen Stärke, kämpft aber innerlich mit ihrer eigenen Unentschlossenheit. Obwohl sie im gleichen Haus wie Sophie, Lilis Enkelin, und deren Sohn Eric wohnt, hat sie eine Arbeit in einer weit entfernten Stadt gefunden – diese Information hat sie den beiden noch nicht anvertrauen können. Ihr Schweigen symbolisiert, wie schwierig es ist, eigene Bedürfnisse neben den familiären Erwartungen durchzusetzen. Das Altersheim wird zum Zeichen für Abschied, Verlust und die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit. Mit einem realistischen Blick schildert die Erzählerin das Leben im Heim: die alltäglichen Abläufe und die Sehnsucht nach Zuwendung und Würde. Der Tod von Lili stellt einen Wendepunkt dar, der den jüngeren Frauen Anlass gibt, ihr Leben neu zu strukturieren.

Meral Kureyshi schafft es mit ihrem Roman, das gegenwärtige Familienleben bewegend und facettenreich darzustellen. Sie beschreibt die feinen Nuancen von Nähe und Distanz, das Verlangen nach Zugehörigkeit und die Stärke des Aufbruchs. Dank ihrer realistischen und poetischen Sprache wird die Geschichte zu einem intensiven Leseerlebnis, das das Alltägliche und das Außergewöhnliche eng miteinander verknüpft. Wer ein Interesse an den stillen Aspekten des Lebens sowie der Schönheit und Melancholie familiärer Verbindungen hat, wird mit diesem Buch fündig werden.

  • Im Meer waren wir nie
  • Meral Kureyshi
  • Roman 
  • Limmat Verlag
  • ISBN: 978-3-03926-085-0
  • 2516 Seiten
  • Erschienen im Februar 2025
  • Auf der Longlist für den Indie-Buchpreis – Die Hotlist 2025

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