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Flimmern im Ohr ~ Barbara Schibli

Habt ihr schon mal etwas über die Fichen-Affäre der Schweiz, in den 1970er und 1980er Jahren gehört? Ich auch nicht, bis ich diesen Roman las.

Sommer 2010. Priska, die nach einem Unfall ohne Hörvermögen im rechten Ohr ist, versucht mit einem Innenohr-Implantat ( Cochlea) das Hören neu zu erlernen. Und während sie sich bemüht und ihre alten Punk-Platten auflegt, um ihnen vertraute Töne für ihr versehrtes Ohr zu entlocken, wird die Schweiz von einem politischen Skandal erschüttert.  

Der Inlandsgeheimdienst hatte, wie schon in den politisch aufgeheizten 1970er- und 80er-Jahren, erneut illegal Daten verdächtiger Personen abgegriffen. Diese neuerliche Fichen-Affäre weckte in Priska alte Erinnerungen an ihre Zeit in der Clubszene und der Frauenbewegung. Auch Priska war damals beobachtet worden, was ihre Empörung und ihr Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen verstärkte. Nun denkt sie zurück an diese turbulente Zeit und natürlich an Gina. Gina war nicht nur eine bedeutende Figur in der Frauenbewegung, sondern auch eine feste Größe in der Clubszene. Ihre unerschrockene Haltung und ihr unermüdlicher Einsatz für die Rechte von Frauen und Minderheiten hatten Priska tief beeindruckt und inspiriert. 

Gina und Priska waren nicht nur politische Mitstreiterinnen, sondern auch Seelenverwandte. Ihre Beziehung war geprägt von gegenseitigem Respekt, Leidenschaft und einem gemeinsamen Ziel: die Welt zu einem gerechteren Ort zu machen. Die Überwachung durch den Staatsschutz hatte sie beide betroffen, doch sie hatten sich nie davon abbringen lassen, für ihre Überzeugungen und Ideale zu kämpfen. 

„Die OFRA, die Organisation für die Sache der Frau, ging 1977 aus der Frauengruppe der POCH, der Progressiven Organisationen der Schweiz, hervor und setzte sich unter anderem für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein. Ein rotes Tuch für viele. Mitglieder der OFRA wurden denunziert. Und dies hatte nicht selten verheerende Folgen: Etliche Frauen verloren ihre Arbeitsstelle, oft ohne zu wissen, weshalb, und sie fanden auch lange Zeit keine neue mehr, die Informationen flossen wie von allein.” 

In der Gegenwart lebt Priska mit Bengt zusammen und sie spürt, dass ihre Beziehung deutliche Ermüdungserscheinungen aufweist.  

„Daheim beim Üben fühle ich mich einsam, wenn ich die Musik von damals höre, denn damals war das Hören ja immer ein kollektives Erlebnis. Wir gehörten zusammen, denn dabei ging es letztlich beim Hören dieser Musik. Aber das Hören, oder wie immer man das nennen will, was ich mit den Platten mache, lässt mich meine Einsamkeit, die ja eh schon da ist, noch deutlicher fühlen.” 

Das ist nur annähernd der Kern des Romans und ich lasse ein paar Schlagworte fallen #punk #gleichgeschlechtlicheliebe #bespitzelung #wechseljahre #unfallfolgen #abtreibung #staatsschutz #terrorismus #frauenbewegung #liebe #reflexion  

Spannend an dem Impuls der Reflexion stellt sich die Frage: Werden wir mit den Jahren immer mehr selbst oder verlieren wir uns in den Kompromissen? 

Barbara Schibli vermag es mit poetischen Bildern ihres komplexen Romanes, die verschiedensten Themen zu einem Erlebnis von Musik und Sprache zu komponieren, die beide dazu beitragen, die menschliche Erfahrung in all ihrer Vielfalt, Schönheit und Sinnlichkeit auszudrücken. Große Leseempfehlung! 

Das Cover dominiert eine Palette aus violetten Schattierungen. Darauf zu erkennen, der Kopf einer Frau, ihre Augen sind verdeckt. Weiter unten befinden sich nicht genau definierbare abstrakte Ornamente.

  • Flimmern im Ohr
  • Barbara Schibli
  • Roman
  • Dörlemann Verlag
  • ISBN: 978 3 03820 143 4
  • 288 Seiten
  • Erschienen 2024

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