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Falastin ~ Hubert Haddad

Gleich vorweg, diese Parabel hat mich regelrecht umgehauen. In dieser 2007 entstandenen Geschichte befinden wir uns inmitten des palästinensischen-israelischen Konflikts. Und noch eines vorab, ich möchte hier keineswegs eine politische Diskussion anstoßen. Bitte nein, denn dieser bewegende Text des Buches tut es auch nicht. Er bleibt unparteiisch.

Der israelische Soldat Cham wird bei einem Patrouillengang verwundet und von einem palästinensischen Kommando entführt. Schwer verletzt und ohne Erinnerungsvermögen kommt er in einem Keller wieder zu sich. Sein Kopf mit einer Kufiya – in der arabischen Welt von Männern und Frauen getragenes Kopftuch – bedeckt. Als Cham in ein anderes Versteck gebracht wird fällt er einer Gruppe der Fedajin/Freischärlern in die Hände, die glauben, er sei einer der ihren. Er kommt in das Haus der blinden Witwe Asmahane und ihrer schönen Tochter Falastin. Zu seinem Schutz nennen sie ihn Nessim. Nach ihrem verlorenen Sohn und Bruder. Und so wird er gesund gepflegt.

Lange hat Falastin die Verbände gewechselt, ihre kohlrabenschwarzen Augen in den seinen versenkt. Sie hat seinen harten Bart rasiert und seine Locken gekämmt. Ein so intensiver Blick dringt aus dem Nichts, mitten in die Wunde des Vergessens.

Zwischen Falastin und Nessim entwickelt sich eine zarte Liebe, die unter keinem guten Stern steht. In der Wüste des Westjordanlandes bei Hebron spitzt sich die Lage dramatisch zu.

Wir sind aus unserem Heim verbannt, vertrieben, enteignet. wir alle sind gefangene. Überall nichts als Mauern, Sperren, Umleitungen. Kann man so leben, in den Koppeln und Käfigen einer Menagerie? Will man uns zum Selbstmord treiben, in die völlige Zerstörung? Ich hasse unser Schicksal, ich hasse sie alle. bis ich darüber den Verstand verliere…

Wie die Geschichte ausgeht, werde ich nicht verraten. Doch so viel, es ist ein unglaubliches Ende. Eine Geschichte, die man nie wieder vergisst. Hubert Haddads sprachlicher Stil ist gefüllt mit gehobener Poesie. Es ist eine überaus bewegende, spannende und humanistische Parabel untermalt mit einer berührenden Liebesgeschichte. Der Roman entwickelt gleich zu Beginn eine fast magische Dynamik. Die Namensgebung der Protagonisten spricht für sich: Falastin bedeutet Palästina, Cham bedeutet im biblischen Kontext – heiß oder wärmend – und im hebräischen – der Bewohner eines steinigen Bodens. Nessim kommt aus dem türkisch/arabischen Raum und bedeutet so viel wie Morgenduft – frischer Wind oder leichte Prise. Große Leseempfehlung!

Im Anhang kurz der geschichtliche Ausgangspunkt:

Ein Blick in die Vergangenheit: Nach dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) wurde Palästina von britischen Truppen erobert und zu einem Mandatsgebiet Großbritanniens. Das sorgte allerdings nicht für eine Befriedung der jüdisch-palästinensischen Spannungen vor Ort – ganz im Gegenteil. In den folgenden Jahren kamen immer mehr Juden aus europäischen Ländern, in denen sie der Verfolgung ausgesetzt waren, in die Region und trafen auf die Palästinenser. Der jüdische Bevölkerungsanteil stieg bis 1945 auf rund 30 Prozent.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es noch komplizierter. Im November 1947 beschlossen die Vereinte Nationen, Palästina in einen arabischen (rund 43 Prozent der Fläche) und einen jüdischen Staat (56 Prozent) aufzuteilen, wobei Jerusalem unter internationaler Verwaltung stehen sollte. Im Teilungsplan wurde auch beschlossen, dass das britische Mandat für Palästina spätestens am 1. August 1948 beendet werden sollte. Bereits im Mai 1948 zogen die letzten britischen Truppen ab, und der Staat Israel wurde gegründet. Ägypten, Transjordanien, Syrien, Libanon und der Irak griffen Israel noch am selben Tag an. Hunderttausende Araber wurden während der Auseinandersetzungen aus Israel vertrieben. Quelle Berliner Morgenpost vom 29.05.2024

Das Cover zeigt Steinstufen, die nach oben führen. Der Titel ist in orange, Autoren – und Verlagsname in türkiser Farbe gehalten.

  • Falastin
  • Hubert Haddad
  • Roman
  • Nautilus Verlag
  • ISBN: 9783894015886
  • 157 Seiten
  • Übersetzt von Katja Meintel
  • Auf Deutsch erschienen 2009
  • Ausgezeichnet 2008 mit dem Prix des Cinq Continents de la Francophonie

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