
Irgendwo in Belgien, an einer Kunsthochschule. Dozent Anton bekommt eines Tages völlig unerwartet privaten Besuch von einem seiner Studenten. Es handelt sich um Dius, einen seiner talentiertesten Studenten. Zunächst empfindet Anton eine gewisse Befremdung, doch zugleich ist er von diesem jungen Mann fasziniert. Zu diesem Zeitpunkt ist er Anfang dreißig, während Dius um die zwanzig ist. Die beiden Männer freunden sich eng an, was durch gemeinsame Spaziergänge und Unterhaltungen über Kunst, Musik, Natur und Philosophie gekennzeichnet ist. Diese Beziehung wirkt auf den ersten Blick fast wie aus einer anderen Zeit. Sie gründet sich jedoch auf emotionaler Tiefe, gegenseitigem Respekt und Neugier. Im Hintergrund entwickeln sich jedoch die privaten Lebensbereiche beider Männer weiter, und nicht alles verläuft harmonisch, da beide es mit ihrer Treue zu ihren Freundinnen nicht so genau nehmen.
„Sofort schoss es mir durch den Kopf, wie viele Abhandlungen es doch zum Thema Freundschaft gibt – sie ist, abgesehen von der Liebe, vielleicht eines der größten Themen der Kulturgeschichte; Ovid schrieb weltberühmte, teils verzweifelte Gedichte für Freunde, die er verloren hatte, Senecas Meinung nach ist eine Freund so etwas wie ein alter ego, für Cicero ist die Freundschaft moralisch gar der Liebe überlegen….
Während Dius der praktische Typ ist, der Kunstwerke aus unterschiedlichen Materialien kreiert, ist Anton eher ein sensibler Mensch, der in den Melodien von Schubert und der polyphonen Musik schwelgt. Es handelt sich um eine außergewöhnliche, innige und ergänzende Freundschaft, die sich durch die Zeit hindurch erstreckt. Durch den Verrat eines der Freunde an dem anderen kommt es jedoch zum Bruch dieser Männer, die nicht in ihre Zeit zu passen scheinen. Als Dius nach einigen Jahren plötzlich wieder bei Anton auftaucht, ist er gezeichnet.
Dieser Roman hat es in sich. Er ist angefüllt mit intensiven Kunst – und atmosphärischen Naturbeschreibungen. Stefan Hertmans skizziert die Verletzlichkeit dieser Männerfreundschaft. Ebenso eröffnet er die Möglichkeit für eigenen Überlegungen wie: Was bedeutet Freundschaft? Und was bedeutete Kunst in dieser Zeit? Wie formen persönliche Einschläge den Charakter eines Menschen? Ist das Ende einer Freudschaft schmerzhafter als ein Liebesaus?
„Dius” ist ein dichter, intensiver und außergewöhnlicher Roman. Ich mochte die Vielfalt der Themen, die hier auf wunderbare Weise miteinander verwoben sind. In dieser Geschichte von Erinnerung und Wiederbegegnung verweist Stefan Hertmans auf die tiefere Dimension menschlicher Verbundenheit: Freundschaft als ein Akt der Offenheit, Kunst als Versuch, das Vergängliche zu bewahren, und Natur als letzte, bedrohte Zeugin des Schönen. Am Ende bleibt der stille Appell, mit „offenerem Blick und neugierigem Herzen“ auf die Welt zu schauen – auf dass wir in ihr, trotz allem, das Menschliche nicht verlieren. Ausgesprochene Leseempfehlung!
Anmerkung: Ich hatte das große Glück, an einer vom Diogenes Verlag organisierten Online-Lesung des Autors teilzunehmen. Es war für mich eine der interessantesten, tiefgründigsten und charmantesten Lesungen überhaupt und hat mich sehr beseelt zurückgelassen. Ein besonderes Zitat von Stefan Hertmans habe ich mir fest notiert: „Hoffnung ist kein Gefühl, sondern eine Haltung.”
Das Cover zeigt einen Ausschnitt eines Gemäldes von William Bruce Ellis Ranken.
„Young Man Sketching“ zeigt den leicht abgewandten Kopf eines jungen Mannes vor einem hellgrünen Hintergrund. Alle Schriften sind in Schwarz gehalten.
- Dius
- Stefan Hertmans
- Roman
- Diogenes Verlag
- ISBN: 9783257073560
- 352 Seiten
- Erschienen am 22. Oktober 2025
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