Nachdem ich ja zuvor von Simone Schabert >Rosa in Grau <, die Erzählung einer jungen Mutter in der Psychiatrie in den 1950er Jahren las, beschloss ich dieses Buch im Anschluss zu lesen.
Dies ist die Geschichte einer mysteriösen “Störung” und derjenigen, die von ihr befallen wurde: die bekannte New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt. 2003 starb ihr Vater, ein Universitätsprofessor. Fast drei Jahre später hält Hustvedt eine Gedenkrede auf ihn an seiner Alma Mater. Mitten in ihrer Ansprache befällt sie ein unkontrollierbares Zittern. Sie steht die Rede durch und wundert sich: Bühnenangst hatte sie vorher nie. Kurz darauf, bei einem Uni-Vortrag über ihre Schreibkurse für psychisch Kranke, wiederholt sich das Ereignis. Diesmal kann sie es nicht vor ihrem Publikum verbergen. Weder die Mediziner noch die Psychiater kommen zu einer aussagekräftigeren Diagnose als “Es müssen die Nerven sein”. Hustvedt stellt fest, dass es klare Gesetze von Ursache und Wirkung im komplexen Wechselspiel von Geist, Psyche und Körper nicht gibt oder dass wir sie nicht kennen. – So der Klappentext.
So macht sich Siri Hustvedt auf die Suche nach der Ursache. Sie nimmt an den unterschiedlichsten Untersuchungen teil und durchforstet akribisch die medizinische Fachwelt.
>Fast jedes Mal, wenn heutzutage das Wort >Hysterie< in Zeitungen oder Zeitschriften gebraucht wird, erläutert der Verfasser, dass es seine Wurzel in dem griechischen Wort für >Gebärmutter< hat. Sein Ursprung als ein mit den Fortpflanzungsorganen zusammenhängendes, rein weibliches Problem soll den Leser warnen, dass das Wort ein uraltes Vorurteil widerspiegelt, doch ist seine Geschichte weitaus komplexer als Misogynie. Galen glaubte, Hysterie wäre eine Krankheit, von der unverheiratete und verwitwete Frauen ohne Geschlechtsverkehr geplagt werden, aber kein Wahnsinn, da sie nicht zwangsläufig psychische Beeinträchtigungen mit sich brachte.< – Seite 16
>Die zitternde Frau < ist die Suche einer Lösung, die Siri Hustvedt Freud und vielen anderen Gelehrten näherbringt, auch werden einige Fallbeispiele genannt. Wie zum Beispiel den traumatisierten Soldaten verschiedener Kriege, die unerklärliche körperliche Defizite danach erlitten ohne dass eine eindeutige Diagnose gefunden wurde. Traumata kann körperliche Schmerzen auslösen.
>Es geht darum, die Krankheit als Teil des Selbst zu verstehen. Es geht da nicht nur um mich, sondern um die Natur einer Anlage, eines neurologischen Problems, mit dem man nicht anders verfahren kann, als es zu integrieren, wie auch im Fall der Migräne. Ich nahm sie als Teil von mir an. Das ist alles nicht einfach. Einer der Patienten des Neurologen Oliver Sacks, der unter dem Tourette-Syndrom litt, vermisste seine Ticks und nahm deshalb an Wochenenden Urlaub von seinen Medikamenten, sodass er seine Ticks wenigstens dann ausleben konnte. Es ist sehr wichtig zu begreifen, dass die Auffassung, Krankheit sei nur ein schrecklicher Zustand, der unbedingt unterdrückt werden müsste, sodass der Kranke wieder normal funktioniert, eine falsche Sichtweise ist. Krankheit ist ein weitaus komplexeres Phänomen.<
So der letzte Absatz im Buch. Einem Buch, dass ich mit großem Interesse gelesen habe und somit gerne empfehlen möchte.
Das Cover zeigt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Siri Hustvedt.
- Die zitternde Frau
- Siri Hustvedt
- Eine Geschichte meiner Nerven
- Rowohlt Verlag
- ISBN: 9783498030025
- 235 Seiten
- Übersetzt von Uli Aumüller und Grete Osterwald
- Erschienen 2010
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