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Chimäre ~ Sarah Kuratle

Was schreibt man über einen Roman, den man wohl nicht außreichend, wenn überhaupt erfasst hat? Ich weiß es auch nicht, doch ich möchte es schon alleine des Buches willen versuchen.

Auf einer abgelegenen Insel versucht eine kleine Gemeinschaft aus Lehrenden und Lernenden, das Verschwinden der Artenvielfalt aufzuhalten. Zwischen hängenden Gärten und flirrenden Zeichnungen halten sie fest, was noch bleibt, und kämpfen zugleich darum, selbst nicht zu zerfallen.
Unter ihnen lebt Alice, die sich hier Alois nennt. Ihr Dasein ist ein Versteck, ein Versuch, sich in der Rolle eines anderen zu behaupten. Doch eines Tages verlässt sie die Insel. Sie geht hinaus aufs Festland, das still und leer daliegt, durchzogen von den Spuren vergangener Zivilisation. Nach Jahren der Anpassung will sie herausfinden, wo sie selbst beginnt und aufhört, was sie begehrt und wem ihre Zuneigung wirklich gilt. Sie lernt Max kennen.
Gregor, ihr Freund und Vertrauter, bleibt zurück. Er trägt ein Trauma in sich, das er nur durch das Zeichnen erträglich machen kann. Seine Bilder sind Versuche, Ordnung in das Chaos der Erinnerung zu bringen. Eines Tages taucht eine Fremde in den Gärten auf, eine Frau, deren Gegenwart ihn zugleich beunruhigt und fasziniert. Langsam, fast unmerklich, findet sie Zugang zu ihm.
Während Alice durch die trockengelegten Auen und vernarbten Wälder zieht, gerät Gregors Welt ins Taumeln. Was bleibt, ist die Sehnsucht nach Leben, nach Nähe, nach einem Ort, an dem man sich erkennen darf.

Wenn er aufwacht, ohne dass es schon Morgen, hell ist, steht Gregor vom Bett auf und geht in die Gärten. Die Pflanzen brauchen mich, sagt er sich, setzt sich zwischen sie in die Beete, mehr nicht. Er tut nichts, verwächst mit der Stille, träumt.

Der Roman bewegt sich in einem sprachlich experimentellen Raum, in dem Bedeutungen nur aufscheinen. Es bleibt schwebend, traumverloren, aus kunstvoll gefügter Prosa verwoben. Ich empfand diesen Text anspruchsvoll und spannend zugleich, denn er war für mich passagenweise nicht klar zu verstehen, blieb in einer vagen Vermutung. Aus einem Geflecht von Themen wie Taumabewältigung, Artenschwund, Leben, Sterben und Identitätsuche führt „Chimäre” in ein Wunderland der eigenen Vorstellungskraft. Ausgesprochene Leseempfehlung!

Anmerkung zum Titel: Eine Chimäre ist ein Lebewesen, das aus Zellen verschiedener genetischer Herkunft besteht, oder ein mythologisches Mischwesen aus verschiedenen Tieren. In der Biologie bezeichnet der Begriff einen Organismus, der aus genetisch unterschiedlichen Zellgeweben aufgebaut ist, wie beispielsweise bei Pflanzen oder Tieren. In der griechischen Mythologie ist die Chimäre ein feuerspeiendes Mischwesen aus Löwe, Ziege und Schlange. 

Das Cover zeigt ein Gemälde von Odilon Redon – Hommage an Goya. Ein Frauenkopf mit enganliegendem roten Haar und einem undefinierbaren blauen Kopfschmuck ragt aus Wolken oder Wasser. Die Schriften sind in Gold und Weiß gehalten.

  • Chimäre
  • Sarah Kuratle
  • Roman
  • Otto Müller Verlag
  • ISBN: 9783701313341
  • 156 Seiten
  • Erschienen im August 2025

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