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Mein Herz so weiß ~ Javier Marías

Habt ihr ein Buch, welches ihr schon mehrfach gelesen habt? Ein Buch so unvergessen und verinnerlicht, dass es für euch der sicherste Hafen unter all den gelesenen Büchern ist? Ich wünsche es euch! Für meinen Teil ist es seit vielen Jahren „Mein Herz so weiß” von Javier Marías. Und obwohl ich diesen Roman mehrfach gelesen habe, weckt bei jedem Neubeginn des Buches für mich die Neugier und die Spannung, ob die Empfindung zu diesem besonderen Buch weiterhin Bestand hat.

Der Roman beginnt mit einer schockierenden Szene: Die frisch verheiratete Tante des Protagonisten Juan begeht nach ihrer Hochzeitsreise Selbstmord, indem sie sich mit der Pistole ihres Vaters erschießt. Dieser rätselhafte und verstörende Akt stellt die Weichen für eine Geschichte, die sich um Geheimnisse, unausgesprochene Wahrheiten und die Macht der Sprache dreht. 

Juan, der Protagonist und zugleich Erzähler der Geschichte, lebt in Madrid und arbeitet als Dolmetscher. Obwohl er gerade frisch verheiratet ist, wird seine Beziehung zu seiner Frau Luisa von seinen inneren Konflikten und seiner Auseinandersetzung mit der Vergangenheit belastet. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wird Juan die Tragödie in seiner Familie bewusst. Daraufhin beginnt er, Geheimnissen und Geschehnissen seiner Familie nachzugehen, die mit diesem Suizid in Zusammenhang stehen. 

Wir taten nichts weiter, als uns in der Überzeugung oder dem Aberglauben einzurichten, dass nicht existiert, was nicht ausgesprochen wird.

Bei seinen Recherchen wird offensichtlich, dass sein Vater Ranz, ein charismatischer und manipulativer Mann, eine entscheidende Rolle in der Geschichte spielt. Drei Ehen hatte Ranz, und seine Partnerschaften scheinen von Geheimnissen und Tragödien geprägt zu sein. Juan sieht sich der Frage gegenüber, wie viel Wissen über die eigene Familiengeschichte angemessen ist und ob es besser sei, gewisse Wahrheiten nicht ans Licht kommen zu lassen. Juans Tätigkeit als Dolmetscher verdeutlicht die Wichtigkeit von Sprache und Übersetzung, sowohl für die Kommunikation als auch für Missverständnisse und Konflikte.

Aber wir Kinder wissen nichts von den Eltern, oder es dauert lange, bis wir uns interessieren.

Mein Herz so weiß zeichnet sich durch eine unverwechselbare Erzählweise aus, die von Reflexionen und philosophischen Überlegungen geprägt ist. Marías verknüpft sorgfältig ausgearbeitete Charakterstudien mit einer fast hypnotischen Sprache, die die Möglichkeit bietet, über die Tiefe seiner Themen nachzudenken. Der Roman bietet nicht nur eine Erzählung, sondern auch eine Reflexion über die Geheimnisse des Lebens und die menschliche Natur.

Ein fesselnder Roman, der zum Nachdenken über die Kraft der Sprache und die Vielschichtigkeit menschlicher Geheimnisse anregt. Das Werk ist mit seiner Kombination aus Spannung, Tiefgang und sprachlicher Eleganz ein unvergessliches Leseerlebnis ( die Textpassagen zu Macbeth waren für mich faszinierend und perfekt positioniert) und ein Beleg für die literarische Meisterschaft von Javier Marías. Wärmste Leseempfehlung!

Auf dem Cover ist das Gemälde „Das stille Erwachen“ des deutschen Künstlers Henning von Gierke aus dem Jahr 1982 abgebildet. Gezeigt wird ein Fenster; auf dem unteren Rahmen befinden sich zwei Äpfel, und einer liegt im Raum am Boden. Ein Vorhang auf der linken Seite bewegt sich leicht. Im Bild rechts ist ein skizzierter Bilderrahmen zu sehen, und am unteren Bildrand befindet sich ein Abschnitt eines Bettpfostens. Alles ist in Blau, Weiß und Cremetönen gestaltet. Autoren und Verlagsname in roter, Titel in weißer Schrift.

Mein Herz so weiß

Javier Marías

Roman

dtv Verlag

ISBN: 9783423125079

346 Seiten

Erschienen 1998

Übersetzt von Elke Wehr

 

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