
Gedichte verdichten Gefühle, Gedanken und Beobachtungen auf wenigen Zeilen. Durch sprachliche Bilder, Metaphern und Mehrdeutigkeiten regen sie die Fantasie an und lassen Raum für persönliche Interpretationen. Der Klang – Rhythmus, Reime und Wiederholungen, verstärkt die emotionale Wirkung und kann beruhigen, aufrütteln oder berühren.
An die Liebe
du hast mich geschluckt
wie das Meer den Kiesel
ich liege am Grund
geschliffen von dir
und habe die Hand vergessen
die mich warf
Renate Schmidgall, bislang vor allem als versierte Übersetzerin aus dem Polnischen bekannt, unter anderem für die Werke von Jakub Małecki, Andrzej Stasiuk und vielen weiteren Stimmen der Gegenwartsliteratur, tritt nun mit einem eigenen Gedichtband hervor. Die Sammlung vereint Texte aus drei Jahrzehnten, von ihren frühen Gedichten der 1990er-Jahre bis hin zu aktuellen Stücken. So eröffnet sich ein dichterischer Lebensbogen, der ihre Entwicklung ebenso sichtbar macht wie die Konstanz ihrer poetischen Handschrift.
Winterlicht
Winterlicht, das geometrische Muster des Schnees
auf den Dächern und der Mond eine weiße Feder.
Aus dem Schornstein steigt Rauch und duckt sich
in der kalten Luft.
Worte aus fremden Gedichten ziehen vorbei
und reißen ein Loch in den Himmel.
Renate Schmidgalls Gedichte wirken: Sie kommentieren ihre Erfahrungen und Erinnerungen, drücken Empfindungen und Beobachtungen aus. Die Form jedes Gedichts unterstützt dabei die Botschaft.
So entsteht die besondere Kraft der Lyrik: Sie spricht sowohl Verstand als auch Gefühl an und bleibt dadurch lange im Gedächtnis. Ausgesprochene Lese – und Schenkeempfehlung!
Das Cover zeigt sich zurückhaltend und zugleich ausdrucksstark: Auf einem cremefarbenen Grund hängt ein einzelnes goldenes Ginkgoblatt an einem kahlen, fast zeichnerisch feinen Ast. Die Typografie bleibt dezent in Schwarz und zartem Grau gehalten, sodass das Blatt mit seiner warmen, metallischen Leuchtkraft still in den Vordergrund tritt.
- Kein Verlass auf Uhren und Gestirne
- Renate Schmidgall
- Gedichte
- Secession Verlag
- ISBN: 978-3-96639-136-8
- 148 Seiten
- Erschienen 2025
- Mit einem Nachwort von Michael Krüger
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