
Hier bemerkte Schehersad den Tagesanbruch und schwieg. Dinarsad sprach zu ihr: „ Oh wie schön und wundervoll ist deine Erzählung, meine Schwester.” Schehersad erwiderte: „Was ist dies im Vergleich zu dem, was ich euch in der folgenden Nacht erzählen werde, wenn mein Herr, der König, mich leben lässt; es wird weit wunderbarer, angenehmer und entzückender sein.”
Dieses Zitat aus Tausendundeine Nacht eröffnet den Erzählband, in dem folgende Frauen vereint sind: Susan Sontag, Siri Hustvedt, James Tiptree Jr. (das männliche Pseudonym von Alive B. Sheldon), Andrea Grill, Irmgard Maenner, Nona Fernández, Nina Horvath, Hélène Cixous, Yôko Ogawa, Diamela Eltit, Julie Phillips, Therese Chromik, Fanny von Reventlow.
Ich war schon wegen Susan Sontag und Siri Hustvedt an diesem Band interessiert und gespannt auf die Geschichten der anderen Frauen. Ich möchte hier drei Geschichten kurz umreißen.
Frauen, die man übersieht von James Tiptree Jr. – Mr. Fenton erzählt von seinen Erlebnissen nach einem Flugzeugabsturz. Dem Kapitän Esteban gelingt eine Notlandung auf einer Insel und Mr. Fenton muss sich mit ein paar Frauen arangieren. Was ihm nicht gut gelingt und er mit Mrs. Parson in eine unglückselige Dikussion betreffend Männer und Frauen gerät. – Ich empfand den Schreibstil als durchaus maskulin.
Der Flughafen von Cozumel ist die übliche Mischung aus panischen Amis in Klamotten für den Sandkasten und gelassene Mexikaner in Klamottten für ein Essen beim presidente. Ich bin ein abgewetzter Ami in Klamotten für ernsthaftes Fischen;
Tagebuch einer Schwangerschaft von Yoko Ogawa – Eine junge, namenlose Studentin berichtet chronologisch von der Schwangerschaft ihrer Schwester. Die Studentin wohnt mit ihrer Schwester und ihrem Schwager unter einem Dach. Seit der Schwangerschaft hat sich das Verhältnis zwischen den Schwestern verändert, und die Studentin berichtet von verschiedenen Alltagssituationen in einem kühlen und distanzierten Tonfall. Es tritt jedoch in eine Situation ein, die sie absichtlich raffiniert für sich ausnutzt. – Der Stil der Sprache erschien mir kalt und ohne Emotionen. Aber die Geschichte ist es definitiv wert.
Zwischen uns beiden lag der blasse Schatten eines Föten, eingehüllt in die nächtliche Dunkelheit.
Houdini von Siri Hustvedt – Die Doktorandin Iris Vegan leidet seit Monaten an einer starken Migräne und wird deshalb stationär in einer Klinik aufgenommen. Iris muss sich das Zimmer mit Mrs. M, einer sehr unfreundlichen Frau, die nicht gehen kann, und mit Mrs. O, einer Frau mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung, teilen. Mrs. O bringt alle im Zimmer und auch das Pflegepersonal wegen ihrer ständigen wilden Schreie und ihrer Fluchtversuche zur Verzweiflung. Doch Iris wird für diesen Zustand verantwortlich gemacht. Mrs. O befreit sich von ihren Fesseln und ist plötzlich verschwunden. Das bringt ihr von Mrs. M den Spitznamen „Houdini” ein. Die Atmosphäre um Iris verändert sich. – Was soll ich sagen? Ich schätze die Ausdrucksweise und die Settings von Siri Hustvedt.
Mrs. M. war eine Frau, die gern dirigierte. Sie hatte im Zimmer eine den Krankheiten gemäße Hierarchie eingeführt.
Hier sind elf wunderbare Erzählungen versammelt. Jede von ihnen zeichnet sich durch ihre eigene Besonderheit aus. Ausgesprochene Leseempfehlung!
Das Cover zeigt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Darauf sieht man eine junge Frau, die über den Gehweg läuft, und eine Vielzahl von Männern sieht ihr nach.
- Frauen!
- Jürgen Schütz & Christiane Barnaházi
- Starke Erzählungen über das starke Geschlecht
- Septime Verlag
- ISBN: 9783902711038
- 320 Seiten
- Erschienen 2010
Schreibe einen Kommentar