In einer Welt ohne freien Himmel, einer Welt strenger Segmentierung dominiert lediglich die Pflicht. Sprache ist auf das Nötigste reduziert, das Lernen zielgerichtet und der Alltag streng geregelt. Zwischenmenschliche Kontakte gibt es nicht und Kommunikation beschränkt sich auf ein Rohrpostsystem. Die Bibliothekarin lebt in Abteilung F-23 und ihre Pflicht besteht darin, die literarischen Werke der Vergangenheit, das kulturelle Erbe einer anderen Zeit zu katalogisieren. Lesen darf sie die Werke nicht – das liegt nicht im Rahmen ihrer Pflicht und was nicht der Pflichterfüllung oder dem Überleben dient, ist verboten. Sie hat sich mit ihrem Dasein abgefunden, kennt nichts anderes, bis sie in den Sog der Sprache gerät, in den Sog von Menschlichkeit, Kommunikation und Nähe. – so der Klappentext.
Nach über zwanzig Jahren ihrer Tätigkeit und ihres tristen Daseins überschreitet die Bibliothekarin, ganz unverhofft die imaginäre Grenze. Sie beginnt ein Buch zu lesen. Viele Wörter sind ihr zwar bekannt, doch weiß sie nicht, was sie bedeuten. Akribisch sucht sie nach Erklärungen und beginnt somit ein Wörterbuch für sich selbst herzustellen. Sie ist sich durchaus bewusst, dass sie sich in Gefahr begibt, denn ihre Pflichterfüllung gerät in eine massive Schieflage. Welche Sanktionen hat sie zu befürchten? Das weiß sie nicht, da sie keinen Kontakt zu anderen Menschen hat, die eventuell ihr eine Auskunft geben könnten.
Sie findet ein Funkgerät und vermag es nach einigen Versuchen zu betätigen. Dies ist der Beginn in eine ganz neue Welt, denn die Bibliothekarin möchte kommunizieren. Nach einem verhaltenen Start ertönt plötzlich eine Antwort. Mit neuem Mut wagt sie sich einen Schritt weiter und sie beginnt über das Mikrofon ein Buch nach dem anderen vorzulesen. Alsbald hat sie eine große Schar an Hörerschaft. Doch diese Art von Freiheit bleibt nicht von langer Dauer.
„Ich habe seit Jahren keine Stimme mehr gehört.” Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und in meinem Hals verengten sich die Muskeln. Einen Moment blieb mir die Luft weg und als H-43 zu schluchzen begann, gab es auch für mich kein Halten mehr. Wir weinten abwechselnd in unsere Mikrofone…
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Die > Bibliothekarin < ist ein wahrer Pageturner. Von Beginn des Romans bis hin zur letzten Seite las ich dieses Buch voller Spannung und Faszination. Peter Marius Huemer ist eine intelligente, futuristische Story gelungen, die seinesgleichen sucht. Diese monotone Pflichterfüllung, die Grenzüberschreitungen im Glück sowohl auch in der Angst, sind authentisch und fesselnd dargestellt. Ein Aufstand gegen die vorherrschende Sprachlosigkeit brillant in Szene gesetzt! Bravo!
- Die Bibliothekarin
- Peter Marius Huemer
- Roman
- Septime Verlag
- ISBN: 9783991200239
- 210 Seiten
- Erschienen 2023
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